GALLERYTALK.NET | 17 June 2019

Aaron Scheer has been interviewed by gallerytalk.net about early experiments with his parents’ printer and criticising the zeitgeist (article in German).


Double-Tap #7: Aaron Scheer

By Anna Meinecke

Es sieht schon ganz schön nach Computer aus, was Aaron Scheer da macht. Er begreift es als Malerei. Dass dabei heute digitale Elemente einfließen, ist für ihn ein ganz natürlicher Prozess. Im Gespräch mit gallerytalk.net berichtet er von frühen Experimenten mit dem elterlichen Drucker und erklärt, wieso seine Glitch-Blog-Ästhetik durchaus Kritik am Zeitgeist birgt.

gallerytalk.net: Künstler lassen sich gern in ihren Ateliers ablichten. Braucht man überhaupt noch eins, wenn man digitale Kunst macht?
Aaron Scheer: Letztlich arbeite ich überall, wo ich eine funktionierende Internetverbindung habe und mich am Strom parasitär anzapfen kann. Das Studio wird somit zum flexiblen Raum. Ganz im Sinne der Digital Nomads. Dennoch habe ich ein kleines Studio in Würzburg, wo ich an analogen Projekten arbeiten kann. Ich kann’s halt doch nicht ganz lassen, meine Hände schmutzig zu machen. Allerdings gewinnt das digitale Studio immer mehr an Bedeutung.

Du hast mir erzählt, du würdest gern zu einer natürlichen Evolution der Malerei beitragen. Das ist ein ganz schön hochgestecktes Ziel, oder?
Ja, das ist durchaus ein hochgestecktes Ziel, letztlich jedoch die logische Konsequenz meines bisherigen Schaffens. Ich habe früh ich angefangen, mich aktiv mit zeitgenössischer Malerei zu beschäftigen. Mit 13 Jahren habe ich mein erstes kleines Werk mit Acryl auf Papier gemalt. Mein Vater war ein abstrakt figurativer Maler und Designer. Er hat mich ästhetisch erzogen und mir einen paradiesischen Kreativ-Hub geschaffen, in dem ich mit allerlei Materialien experimentieren konnte. Die klassischen Materialien meines Vaters, also Acryl, Ölfarben, Ölkreiden oder Aquarellfarben, waren mir schnell nicht mehr genug.

Wie ging es weiter?
Ich habe angefangen, mit anderen Materialien wie Sprühfarbe, Lack, Schablonen, Text-Markern, Werbungsmaterialien, Stoff oder sogar Seife zu experimentieren. Ich habe mit allem gespielt, was ich finden konnte – vor allem im Haushalt. 2014 habe ich mit dem Kopierer meiner Eltern erstmals digitale Medien in mein Schaffen integriert. Es folgten meine ersten Screenshot-Arbeiten, die ich vollständig am Computer generiert habe. Da hat sich mir eine völlig neue Dimension aufgetan. Der nächste Schritt war, Digitales mit Analogem zu verbinden, zum Beispiel in meiner “Analog vs. Digital“ Serie. Das Spannungsfeld zwischen Analogem und Digitalem beziehungsweise zwischen Materialität und Immaterialität ist eins meiner großen Themen. Es ist ein natürlicher Transit von klassischer zeitgenössischer Malerei mit analogen Materialien hin zu einer neuen zeitgenössischen Malerei mit digitalen Materialien.

Inwiefern natürlich?
Es ist die natürliche Evolution der Malerei, die unabdingbare Konsequenz zeitgenössischer Kunst im digitalen Zeitalter. By the way: Ganz witzig, wie im Moment völlige Unklarheit besteht, in welcher Evolutionsstufe wir uns befinden. “Post-Analog” oder “Post-Digital”? Ich werde meist zu beiden Ausstellungen eingeladen, lol.

Wenn du dich nun aber selbst einordnen müsstest, welchen Namen würdest du deinem Stil geben?
Interdisziplinäre, cutting edge, post-everything Nowness! Interdisziplinär, da ich verschiedene Einflüsse aus zeitgenössischer Malerei, Fotografie, Collage und digitaler Kunst in meinem Schaffen verdaue. Cutting edge, da ich versuche, mich möglichst progressiv und radikal an neuer zeitgenössischer Kunst abzuarbeiten. Post-everything, da ich verschiedene Stile, wie Pop, Minimalismus, Expressionismus, konkrete Kunst und konzeptionelle Kunst wild im Mixer zerhäcksele und neu zusammensetze – ich hoffe, das erinnert nicht allzu sehr an Hannibal Lecter (lacht). Und Nowness, da ich im Hier und Jetzt lebe und meine Kunst dies widerspiegeln soll. Vielleicht könnte sie sogar einen kleinen Ausblick in die Zukunft gewähren.

Wie gehst du technisch vor?
Meine Werke sind alle mehr oder weniger multidimensionale Systeme und bestehen zumeist aus
mehreren Schichten. Diese Schichten setzen sich aus digitalen Farbblöcken und Bildmaterial aus dem Internet oder aus meinem persönlichen Archiv auf Laptop und Smartphone zusammen. Mittels alltäglicher Tools und Ressourcen erkunde ich das angesammelte Material und bearbeite es fortwährend prozessual. Manipulation und Abstraktion spielen dabei eine wichtige Rolle. Schicht um Schicht trägt zum Bildaufbau bei. Das Ergebnis versuche ich, immer wieder zu zerstören, bis ich gebunden bin und aller Spielraum aufgebraucht ist. Dann muss das Werk eine undefinierbare Zeit lang auf meinem Laptop bestehen. Nachträgliche Änderungen, selbst nach Monaten, sind möglich. Eine Arbeit muss eine gewisse Reife aufweisen – wie ein geiler Käse. Die grundsätzliche Idee ist es, immaterielle digitale Materie als natürliches Material der Malerei zu etablieren. Es ist der Versuch, die Palette zeitgenössischer Maler zu erweitern.

Du gehörst, mal ganz blöd gesagt, zu dieser Gen-Y. Passt ja auch zu deiner digitalen Ästhetik. Inwiefern positionierst du dich mit deinen Arbeiten denn kritisch zum Zeitgeist – oder spiegelst du deine Erfahrungen einfach in neuer Form?
Auch wenn es meinen Werken nicht auf Anhieb anzusehen ist, spiegeln sie durchaus kritisch den Zeitgeist wieder. Ich sprach von immaterieller Materie als natürliches Material der Malerei im digitalen Zeitalter. In einem Zeitalter, in dem visueller und inhaltlicher Content einfach zugänglich und zumeist umsonst vorhanden ist, verliert digitale Materie dramatisch an Wert. Ich versuche, dieser Materie durch Transformation Wert zurückzugeben. Gleichzeitig trage ich paradoxerweise zur Erosion des Wertes immaterieller Materie bei. Auch wirken manche meiner Werke visuell überladen. Das spiegelt Augenkrebs verursachende, psychedelisch animierte Glitch Blogs oder eine aggressive Werbekultur in urbanen Räumen wieder. Auch versuche ich, ein bisschen mehr Humanität in Technologie zu bringen, indem ich diese Technologie bewusst manipuliere und zweckentfremde. Es ist ein Akt der persönlichen Befreiung von immer einnehmenderen Alltags-Technologien. Vielleicht sogar Revolte. Mich interessiert die Frage des Wertes des Menschen in einer zunehmend technologisierten Gesellschaft.

In Zukunft wünscht du dir deinen Namen in einer Reihe genannt mit Künstlern wie Cory Angel, Ry David Bradley oder Anders Clausen. Clausen’s Werke scheinen einen markanten Eindruck auf dich gemacht zu haben. Warum?
Ich habe Anders Clausen’s Schaffen erstmals 2015 im Münchner Brandhorst Museum im Zuge der Ausstellung “Painting 2.0“ kennengelernt. Dies war knapp eineinhalb Jahre nach meinen ersten experimentellen Screenshot-Paintings. Ich wusste absolut nicht, wo mich diese neuartigen Arbeiten hinführen würden. Nach dieser Ausstellung, speziell beeinflusst von Anders’ Werken hatte ich eine Ahnung, wo mich der neue Ansatz hinführen könnte. Es hat mich bestärkt, den eingeschlagenen Weg weiter zu verfolgen. Viele Leute in meinem Umfeld konnten diese frühen Arbeiten nicht verstehen. Und auch ich verstand sie nicht so richtig. Heute verstehen sowohl mein persönliches Umfeld als auch ich persönlich diese Arbeiten besser. Und auch Galerien und Kritiker scheinen anzufangen, mein Schaffen besser zu verstehen und einzuordnen. Dafür bin ich sehr dankbar.

Du verkaufst deine Kunst sowohl auf Kunstmessen, als auch online auf Artsy, beides zusammen mit Annka Kultys in London. Und hattest in der Vergangenheit bereits Erfahrungen mit online Plattformen wie Kooness oder Contemporary Collective Gallery. Wie empfindest du den Markt im Netz?
Der Markt im Netz, aus rein wirtschaftlicher Sicht, ist schwierig. Es macht eben doch einen Unterschied, ein Werk im Original persönlich oder online zu sehen. Die Barriere eines Online-Kaufs aufseiten des Sammlers ist nach wie vor recht hoch. Aber der Markt entwickelt sich sehr spannend und rasant weiter. Online-Ausstellungen, neuartige hybride Kunstplattformen und Kunstmagazine wühlen den doch ab und zu verstaubten Kunstmarkt auf. Auch für den Künstler tun sich, vor allem in der Vermarktung, enorme Möglichkeiten auf. Nichtsdestotrotz ist die physikalische Galerie mit physikalischen Ausstellungsformaten nach wie vor sehr wichtig. Die Kombination aus analogen und digitalen Formaten ist sicherlich die spannendste Variante. Im Business Jargon würde man das wohl “Omnichannel” nennen.

Ist Instagram für dich als Künstler ein Sprungbrett gewesen?
Definitiv. Instagram hat mir die ein oder andere Tür geöffnet. Ich persönlich nutze Instagram vor allem als Networking-Tool. Solch neuartige Plattformen haben grundsätzlich das Potenzial den Kunstmarkt allmählich zu demokratisieren. Es räumt dem Künstler eine pro-aktivere Rolle ein. Auch der Zugriff auf Kunst wird demokratisiert und einer breiteren Audienz zugänglich gemacht. Natürlich gibt es auch problematische Aspekte. Die Frage, ob es ausreicht ein File des Werkes auf dem Computer zu besitzen, wird für Galerien und Künstler zunehmend wichtig werden. Auch besteht die Gefahr, vor allem digitale Kunst zu kommodifizieren. Summa summarum: spannende Zeiten.

Und sag mal, nervt es dich eigentlich, dass du der Kunst zu Liebe jetzt noch mehr Zeit hinterm Bildschirm verbringst?
Haha, ja, guter Aspekt. Ist es nicht paradox den Anspruch zu haben, mich und mich Umgebung von Alltags-Technologie ein Stück weit zu befreien, aber gleichzeitig dadurch noch mehr Zeit am Computer zu verbringen? Kontext bezogene Spannung, die sich wohl nicht so leicht auflösen lässt. Ab und zu nervt es mich schon. Aber hey, immerhin nehme ich noch nicht flüssige Nahrung im Tropf zu mir zu, während ich an meinem Laptop arbeite. Noch bin ich nicht verloren.

Wenn ihr mehr von Aaron Scheer sehen wollt, seid ihr am besten öfter mal in London. Dort zeigt die Galerie Annka Kultys seine Arbeiten im Oktober im Rahmen der Sunday Art Fair. Außerdem geplant: eine Einzelausstellung sowie eine Gruppenausstellung bei Annka Kultys – letztere wird Aaron selbst kuratieren. Zudem erscheint demnächst eine Publikation mit Werks in Chicago.

In unserer Interview-Reihe DOUBLE TAP zeigen wir euch, in welche Instagramer wir uns beim Scrollen im Bett verguckt haben.
#1 Esteban Schimpf
#2 Leah Schrager
#3 Richie Culver
#4 Amber Vittoria
#5 Andy Kassier
#6 Louis-Philippe van Eeckhoutte

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