MONOPOL | 1 December 2017

Anika Meier mentions both Molly Soda and Signe Pierce in her latest article “Es darf sich geärgert werden” for Monopol, describing the current state of net art and digital feminism (article in German).


Netzkünstlerinnen-Schau in LeipzigEs darf sich geärgert werden

By Anika Meier

Mit “Virtual Normality – Netzkünstlerinnen 2.0” kuratiert Monopol-Bloggerin Anika Meier erstmals eine Ausstellung. Und stößt auf jede Menge Fragen: Was sind Themen, mit denen sich Netzkünstlerinnen heute befassen und aus welcher Notwendigkeit heraus? Wo schließen sie an feministische Positionen und Diskurse an? Und: Wie kann es sein, dass ein paar Haare an Frauenbeinen einen massiven Shitstorm auslösen können?

Ich kuratiere jetzt also eine Ausstellung in einem Museum. Manchmal passieren tatsächlich Dinge, von denen man denkt, ach, es wäre schön: Wenn ich ausgiebig Urlaub in Australien machen könnte. Wenn ich in Paris leben würde. Wenn man sich nur von Pizza ernähren könnte. Seit fast drei Jahren schreibe ich jeden Monat zwei Texte für dieses Blog, manchmal über Instakrams, viel öfter aber über Kunst in Sozialen Medien. Manchmal denke ich, es wäre schön, wenn es zu diesem oder jenem Thema eine Ausstellung oder ein Fotobuch geben würde. Ein Fotobuch beispielsweise mit den Hundefotos, die Alec Soth und Stephen Shore auf Instagram teilen. Alec Soth hält von dieser Idee sehr wenig, was er mir kürzlich noch einmal versicherte. Das ist mir unbegreiflich.

Jemand anderes jedenfalls hielt es für eine sehr gute Idee, dass ich über Netzkunst im Zeitalter digitaler Inszenierung eine Ausstellung im Museum der bildenden Künste Leipzig kuratiere. Selbstverständlich war ich keiner anderen Meinung. Nur alleine wollte ich es nicht machen, deshalb schlafen Sabrina Steinek aus Wien, die Gründerin des “keen on Magazine”, und ich noch bis 11. Januar eher wenig.

Dem zuständigen Redakteur hier bei Monopol also überbrachte ich sogleich die frohe Kunde, weil ja dieses Blog seinen Teil dazu beigetragen hat. Seine Reaktion: “Super, schreib doch mal auf, wie das so ist, eine Instagram-Ausstellung zu kuratieren.” Meine Antwort: “Supi, mache ich!” Wenig später meldete ich mich wieder: “Moment, eine Instagram-Ausstellung ist es nicht direkt, die teilnehmenden Künstlerinnen sind nur alle sehr aktiv in den sozialen Medien und eben besonders auf Instagram.” Als ich einem Kurator von meiner Arbeit an der Gruppenschau “Virtual Normality – Netzkünstlerinnen 2.0” erzählte, sagte der nur: “Aha, Du behauptest jetzt also das ist Kunst?” Das muss ich gar nicht behaupten, es ist so. Alle Künstlerinnen, die unter dem vielleicht etwas zu schmissigen Begriff Feminismus 4.0 geführt werden, haben längst Galeristen, ihre Arbeiten sind in Galerien und Museen auf der ganzen Welt zu sehen, nur im deutschsprachigen Raum tut man sich nach wie vor etwas schwer damit.

Zuletzt wurden im Kunstforum im Band über “Unbedingte Aufmerksamkeit” Künstlerinnen wie Petra Collins, Amalia Ulman und Leah Schrager mit einer unglaublichen Härte kritisiert, eigentlich müsste man sagen, verurteilt. Und dann machte sich der männliche Autor auch gleich noch Sorgen über die Relevanz des Feminismus insgesamt. Die Kritikpunkte von Oliver Zybok an den “freizügigen Bildern zahlreicher Damen”: der eigene Körper werde vermarktet, eine inszenierte idealisierte Selbstverliebtheit werde zur Schau gestellt, es gehe um unbedingte Aufmerksamkeit, um die “Befriedigung eines immer mehr grassierenden Narzissmus”, der weibliche Körper werde sexualisiert und verdinglicht, obwohl ja genau das zur Debatte gestellt werden solle. Auch hier wird sich daran gestört, dass der Kunstkontext bemüht wird. Sobald sich eine weibliche Künstlerin selbst fotografiert, steht sie in der Instagram-Ära gerne mal unter Narzissmusverdacht und wenn sie dabei auch noch eine gute Figur macht, Sodom und Gomorrha – Kunst kann das nicht sein.

Deshalb ist es vielleicht tatsächlich an der Zeit, im Rahmen einer Ausstellung einmal ein bisschen genauer hinzusehen. Was sind Themen, mit denen sich Netzkünstlerinnen heute befassen und aus welcher Notwendigkeit heraus? Wo schließen sie an feministische Positionen und Diskurse an? Was muss immer noch oder wieder diskutiert werden? Und was ist da überhaupt noch außer Amalia Ulmans Instagram-Performance “Excellences & Perfections”, mit der sie weibliche Stereotype in den Sozialen Medien hinterfragt? Die Arbeit wurde mittlerweile so oft gezeigt, dass die Künstlerin sie selbst erst einmal nicht mehr in einer Ausstellung sehen möchte.

Durch das Internet und die Sozialen Medien wurde die Debatte um Sexualität und Identität neu entfacht, Netzkünstlerinnen antworten mit einer hyperfemininen Ästhetik, sie geben sich aggressiv feminin wie Signe Pierce oder mädchenhaft niedlich wie Arvida Byström und Nakeya Brown; ihre Farben sind Pink, Lila und Neon.

In den Medien werden sie Tumblr-Star, Instagram-Künstlerin oder Webcam-Prinzessin genannt, sie selbst bezeichnen sich als Reality Artist (Signe Pierce), Instagram-Model (Leah Schrager) und Online-Exhibitionistin (Molly Soda). Sie übertragen ihr Leben via Smartphones, Tablets und Computer in den Sozialen Medien, sie spielen Charaktere, erschaffen ein Alter Ego, schlüpfen in Rollen und führen so Stereotype, Klischees und Archetypen vor Augen. Sie verwischen bewusst die Grenzen zwischen Kunst und Leben – manchmal bis zur Unkenntlichkeit. Beim Zuschauer lösen sie Unbehagen aus, wenn sie oft sehr plakativ wie Arvida Byström und Molly Soda über Schönheitsideale reflektieren und Unbequemes wie ihre Periode und Körperhaare zeigen. Jedes Mal muss man sich als Zuschauer am Smartphone aufs Neue fragen, wie es sein kann, dass ein paar Haare an Frauenbeinen einen massiven Shitstorm auslösen können.

Und dann wird es vielleicht überraschend sein, dass hinter jedem Instagram-Account ein Werk steht. Instagram selbst, sieht man einmal von der Performance von Amalia Ulman ab, ist nicht das eigentliche Werk. In der Ausstellung wird es Videos zu sehen geben, wie “American Reflexxx” von Signe Pierce, ein soziales Experiment, oder “Browsing” von LaTurbo Avedon, die nur als Avatar in den Sozialen Medien existiert. Die Installation “Slide to Expose” von Nicole Ruggiero, Molly Soda und Refrakt regt an, über Privatsphäre und digitale Intimität nachzudenken, der Schauplatz ist ein Schlafzimmer. Stephanie Sarley nimmt mit ihrem #foodporn der weiblichen Sexualität das Verwerfliche und Obszöne, während Nakeya Brown die politische Dimension von Haaren thematisiert.

Es wird laut und bunt und ruhig und besinnlich werden, es darf mit VR und AR gespielt werden und es darf sich geärgert werden. Nur hoffentlich nicht über Selfies oder Selbstporträts, sondern über die Menschen, die Signe Pierce auf der Straße verfolgt und zu Boden gestoßen haben, nur weil sie mit etwas konfrontiert wurden, das sie nicht eindeutig zuordnen konnten.

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