DER STANDARD | 9 October 2017

Signe Pierce is included in an article by Anika Meier about the practice of Instagram artists published by Der Standard (article in German).


Fotokünstler auf Instagram: Ein Selfie geht immer

By Anika Meier

Immer mehr Fotokünstler entdecken Instagram als virtuelle Galerie für sich. Dort gelten andere Gesetze als auf dem etablierten Kunstmarkt: Die Währung sind Likes, die Motive gut reproduzierbare Klischees

Maximilian Münch wird schon mal am Flughafen in München mit einem Maserati abgeholt und in die vier Stunden entfernten Dolomiten gefahren. Er übernachtet in Fünf-Sterne-Hotels, wenn er nicht in einem Zelt oder einem Auto schläft, weil Reiseunternehmen und Tourismusverbände aus der ganzen Welt ihn einladen.

Jeden Tag erreichen ihn per Mail ungefähr zehn Anfragen, über drei bis vier davon denkt er meist gemeinsam mit seinem Manager nach. Und das alles nur, weil Münch nach einer Trennung von einer Exfreundin im Dezember 2014 Zerstreuung in der Natur suchte und Fotos, die er im Harz mit seinem Smartphone gemacht hatte, auf Instagram teilte.

Wenige Wochen später gründete er die German Roamers, einen Zusammenschluss von 14 Fotografen mit dem Ziel, “das Potenzial der besten deutschen Outdoor-Fotografen auf Instagram zu bündeln”. So steht es auf der gemeinsamen Website. Knapp drei Jahre später haben die German Roamers auf Instagram 211.000 Follower, die einzelnen Mitglieder zwischen 78.000 und 1,1 Millionen. Mittlerweile werden die Kampagnen, die sie beispielsweise für Mercedes Benz und Samsung mit Agenturen umsetzen, für Marketingpreise nominiert. Maximilian Münch, 25 Jahre, eigentlich Pianist und Komponist, hat heute 468.000 Follower (@muenchmax), zu Hause in Berlin ist er jedes Jahr nur wenige Tage, und wenn er dort ist, hält er Vorträge, gibt Workshops und plant die nächsten Reisen.

Viel Lob und Tadel

Zeigt man einem etablierten Fotografen wie Peter Bialobrzeski, Professor an der Hochschule für Künste Bremen, und Ingo Taubhorn, Chefkurator am Haus der Photographie der Deichtorhallen Hamburg, den Instagram-Account von Münch, sprudeln Lob und Kritik gleichermaßen. “Die Bilder sind gut, spektakulär”, sagt Bialobrzeski, der als Dokumentarfotograf für seine kühlen Stadtlandschaften bekannt ist. Dann fällt schnell das Wort “langweilig”, weil: “Klischees werden reproduziert, Fotografie funktioniert hier wie Pornografie, noch einmal und noch einmal, tausendmal dasselbe.”

Wenn Münch am Tisch säße, er würde heftig nicken und den beiden zustimmen. Vielleicht würde er laut “Genau!” dazwischenrufen. Auf Instagram sind die Währung nämlich Likes – wer von seinem Account leben möchte, muss Fotos teilen, die Likes sammeln, damit wiederum der Account wächst. Nicht Originalität ist gefragt, sondern Motive, die wie Hits im Radio rauf- und runtergespielt werden.

Dass es auch anders geht, zeigt der nigerianisch-amerikanische Schriftsteller Teju Cole (@_tejucole). Er ist Fotografiekritiker der “New York Times” und selbst Fotograf. Instagram nutzt er, um an Büchern und Gedanken zu arbeiten, es ist ihm Notizbuch und visuelles Tagebuch zugleich. Was er dort teilt, ist für Millennials sicher vieles, nur nicht instagrammable. Cole atmet täglich die Geschichte der Fotografie ein und wieder aus, der große Strom der Bilder und Likes kann ihm egal sein, da seine fotografischen Arbeiten auch ein Leben in Fotobüchern und Ausstellungen haben.

Ein Tool der Eitelkeiten

Das soziale Netzwerk Instagram ist für Fotografen, ob jung oder etabliert, Möglichkeit und Ernüchterung zugleich. Es kann ein visuelles Tagebuch sein, eine Promoplattform, also eine tagesaktuelle Version der eigenen Website, es ist bisweilen Portfolio, Visitenkarte sowie privates und berufliches Netzwerk zugleich. Ein “Eitelkeitstool” und eine “Selbstbestätigungsmaschine” nennt Peter Bialobrzeski Instagram, er hat dort 412 Follower. Einen wahnsinnigen Aufwand müsse man, für die Möglichkeit anerkannt zu werden, betreiben, sagt er. Das stimmt. Wer schon berühmt oder bekannt ist als Fotograf, Künstler oder Prominenter, kann einfach posten, egal was, die digitalen Herzen fliegen, und die Follower, ja, die wollen im wahrsten Sinne des Wortes tatsächlich folgen, alles verfolgen, und vermehren sich wie von selbst. Und das sogar, wenn ihnen nicht gefällt, was sie zu sehen bekommen. Im Zweifel beschweren sie sich und hinterlassen einen wütenden Kommentar.

Stephen Shore, einer der Mitbegründer der New Color Photography in Amerika, kann wahrscheinlich bald ein Buch mit seinen Instagram-Fotos und den erstaunten, ratlosen und wütenden Kommentaren seiner Follower publizieren. Die bekommen dort nämlich nicht zu sehen, was sie von ihm kennen und erwarten. Seit Mai 2014 ist Shore auf Instagram (@stephen.shore) aktiv, was er dort zeigt, nennt er ganz selbstverständlich sein neues Werk, jeden Tag postet er ein Foto.

In den 1970er-Jahren fotografierte Shore auf seinen Roadtrips durch Amerika jedes Essen, jede Toilette und jedes Bett, er baute Fehler ein, überblendete Bilder mit Blitzlicht oder warf selbst einen Schatten. Seine Schnappschüsse sollten wirken wie beiläufig entstanden, als wäre ein Amateur am Werk, vielleicht ein Tourist.

Heute fotografiert Shore häufig mit dem iPhone, wenn er mit seinen beiden Hunden Wally und Annabelle Gassi geht. Sein Blick wandert hinunter zu den kleinen Hunden, streift mit ihnen an Büschen und Sträuchern vorbei, über den Boden und Bäume, wandert hinauf in den Himmel. Shore fotografiert wie jemand, der nur noch schnell ein Foto machen muss, um es in einem Whatsapp-Chat oder auf Instagram zu teilen, wie jemand eben, der aus seinem Account keinen Werbekanal machen möchte, um Geld für Produktplatzierungen zu bekommen.

Verstärker-Kanal

Wolfgang Tillmans (siehe Interview) derweil würde wahrscheinlich die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, käme jemand auf die Idee, sein Instagram-Kanal sei der neue Tillmans. Der Turner-Preisträger nutzt das soziale Fotonetzwerk hauptsächlich als Verstärker seines politischen Engagements, er weist auf Zeitungsartikel hin, kommentiert das politische Geschehen und erinnert immer wieder daran – wie mit seiner Plakatkampagne – zu Wahlen zu gehen.

Aber auch Künstler, die in den bedeutendsten Museen der Welt ausstellen, sind nicht immun gegen die Aufmerksamkeitsökonomie der sozialen Medien. Aktuell freut sich Tillmans (@wolfgang_tillmans) über den 100.000 Follower – zwei Jahre hat es gedauert, bis ihm so viele Menschen folgten, wie beispielsweise in seiner Heimatstadt Remscheid leben.

Zum Vergleich: Stephen Shore ist nach drei Jahren bei 97.300 Followern, während der Selfie-Queen Kim Kardashian 103 Millionen Menschen folgen. Viel nackte Haut, viel Brust und noch mehr Po, dagegen kommen Grasbüschel nicht an, auch wenn der Fotograf schon mit 17 Jahren in Andy Wahrhols Factory abhing und bald mit einer Retrospektive im Museum of Modern Art in New York zu sehen sein wird.

Klischees im Überfluss

In der Lifestyle-Oase Instagram ist das Medium zwar Fotografie, doch ist es dort längst hauptsächlich ein Mittel der Kommunikation: Heute so aufgewacht, Hashtag #wokeuplikethis, gerade diesen Avocadotoast gegessen, schaut: mein #ootd, also mein Outfit für heute. Ein Selfie und noch eins, das geht immer. Und weil sich die Klischees auf Instagram nur so überschlagen – dafür muss man nur einmal Influencer, das wohl nervigste und überstrapazierteste Wort des Jahres 2017, in das Suchfeld bei Google tippen -, wird auch Künstlern, Kuratoren und Kunstkritikern nicht langweilig.

Die einen jammern, dass die Fotografie im Massengrab versinkt, die anderen reproduzieren in Dauerschleife in Ausstellungen die Metapher von der Flut der Bilder, während eine neue Generation von Fotografen und Künstlern sich an den Instagram-Klischees abarbeitet.

Andy Kassier, seine Frisur und sein Lächeln sitzen, ist immer gut gekleidet und dort, wo die Sonne scheint. Und wenn man es nicht besser wüsste, er ist nämlich Künstler, so steht es in seinem Profil auf Instagram, würde man ihn für eine sich selbst inszenierende Nervensäge halten. “Ich fliege nach Afrika, um Selfies zu machen”, sagt das superreiche Alter Ego des Künstlers Andy Kassier, dessen Selfies schon in der Londoner Saatchi Gallery zu sehen waren.

Die Amerikanerin Signe Pierce ist das hyperfeminine Pendant zu Kassier. Sie, 29, platinblond, sexy und ein bisschen porno, will der Kunstwelt zeigen, was Performance-Art in Zeiten von Instagram ist. Ihr Video “American Reflexxx” war zuerst 2013 auf der Art Basel in Miami Beach zu sehen, dann wurde es ein Viralhit im Internet, weil ein wütender Mob sie durch das Stadtzentrum von Myrtle Beach verfolgte, sie beschimpfte und später sogar zu Boden stieß.

Und das alles nur, weil sie in Minirock, High Heels und mit spiegelnder Maske vor dem Gesicht wie ein in die Realität gefallenes Porno-Starlet durch die Straßen ging. Reality-Art nennt sie ihre Kunst, weil die Realität ihr Medium ist – auch auf Instagram sind weibliche Stereotype ihr Thema.

Instagram ist für Kassier und Pierce wichtig. “Die Kunst muss von den Leuten gesehen werden, die nicht danach suchen”, sagt sie, von Leuten, die vielleicht nicht in Galerien gehen. Instagram hilft jungen Künstlern und Fotografen überhaupt gesehen zu werden und so vielleicht an erste Aufträge zu kommen. “Instagram hat die letzten vier Jahre meines Lebens und meine Zukunft geprägt”, sagt die Amerikanerin Hayley Eichenbaum, deren surreale, kitschig bunte und aufgeräumte Fotos von der Route 66 sich von Instagram aus viral im Netz verbreitet haben. Für sie haben sich wie für Maximilian Münch Joboptionen aufgetan. (Anika Meier, RONDO, 9.10.2017)

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