KUNSTFORUM INTERNATIONAL | May 2020

Marc Lee’s 10.000 Moving Cities has been mentioned in a Kunstforum essay on art and dystopia (article in German).


You press the button, we do the rest: POSTFUTURISTISCHE KÖRPER

By Yvonne Volkart

Maschinenkörper in der Kunst können als jeweils zeitbedingte Auseinandersetzung mit Subjektverhältnissen im Kapitalismus gelesen werden. So wie sich die Formen der Ausbeutung und die zur Verfügung stehenden Technologien durch die verschiedenen Kapitalismen hindurch verändert haben, so haben sich die Körperfantasmen verändert. Was in den 1910er- und 1920er-Jahren – zur Zeit der Durchsetzung der Mechanisierung vom Haushalt – die aerodynamischen Maschinenkonglomerate der Futuristen waren, waren in den 1990er-Jahren  – als Gentechnologie eine öffentliche Debatte auslöste und das Internet populär wurde – monströse Cyborgs mit entstellten Geschlechtskörpern. Heute, im Zeitalter neuronaler Netze, präsentieren sich die Maschinenkörper als algorithmisch verschaltete Daten oder Überbleibsel unheimlich lebendiger Materie, die nicht verschwindet. Gemeinsam bleibt allen diesen Körpern, dass sie den Verlust menschlicher Einzigartigkeit – ihr Maschine-Werden – sowie das mögliche Verschwinden des Menschen vom Planeten Erde in Szene setzen. Wir sind im Postfuturismus angekommen – einem Zustand allgemeiner Erschöpfung, wie Franco Bifo Berardi sagt. In der Zukunftslosigkeit einer herabgewirtschafteten Gesellschaft, die von Fortschritt dank künstlicher Intelligenz träumt. Eine „Intelligenz“, die aus Massen quantifizierter Daten besteht. Die Körper auslaugt und Berge von Abfall produziert. Postfuturismus heisst Erschöpfen und Vermüllen von Welt. Müll, der keine Ruhe gibt. Aktive Reste in einer mehr-als-menschlichen Welt, die noch nicht am Ende ist. Unvorhersehbare Koppelungen heruntergekommener Entitäten. Auch das ist Postfuturismus. In diesem Text untersuche ich verschiedene „postfuturistische Körper“ in der Kunst und frage danach, welche Beziehungen und Handlungsmöglichkeiten sie eröffnen. Wenn wir nicht – mit Marinetti – im eingekapselten Auto-Panzer in den Abgrund rasen wollen, dann gilt es nun Figurationen zu entwerfen, die ihre Einbettung in die Materialität der Dinge erfahrbar machen und unvorhersehbare Koppelungen aufscheinen lassen. Es geht darum, den Begriff des Wachstums aus seiner Reduktion auf Fortschritt herauszureissen und an seine Herkunft aus der Biologie zu erinnern: an das Wachsen als Prozess, als Transformation und Werden, Anders-Werden.

DATENSTADT WERDEN

Angetan mit einem Head Mounted Display, stehe ich in einem abgezirkelten Raum und steuere mich durch Herumlaufen und Kopfnicken durch Bern. Ich bewege mich durch Häuserschluchten, zoome in Fassaden rein und höre den Sound dieser Stadt: Zugansagen, Gelächter, Klingeln. Dann wähle ich Perm, Ulan Ude, Seoul … Was ist besonders an diesen Städten? Sie sind alle gleich: Aneinander gereihte, verschieden hohe geometrische Kuben, auf deren Fassaden Textmessages, Fotos und Anzeigen zu sehen sind. Während in Bern Dutzende von Pizzavarianten, in allen Sprachen kommentiert, auf den Fassaden aufscheinen, hat sich in Ulan Ude immer nur dasselbe gutaussehende Frauengesicht vervielfacht. Trotz der individuellen Messages bleiben ihre Sender*innen gesichtslos. Deren Posts wiederholen sich nicht nur, sondern sie pflastern damit auch die Stadt voll. Was bleibt, sind Patterns, Modulationen, Variationen.

Die interaktive netz- und telepräsente VR-Installation 10.000 Moving Cities – Same but Different von Marc Lee greift user-generierten Content, wie News, Tweets, Bilder, Videos und Sound, aus den Social-Media-Netzwerken Instagram, Twitter und Freesound in Realzeit ab und rendert diese passend für die im Ausstellungsraum platzierten Kuben. Sie übersetzt Datenströme in das Modell einer gebauten Stadt und bringt somit die unsichtbare Infrastruktur der Cloud in den Realraum. Darüber hinaus performt sie das Maschine- bzw. Umwelt-Werden unseres Körpers. Damit meine ich weniger den Umstand, dass mein Gesicht – der Beweis meiner Individualität – von einem mit dem Internet verbundenen Headset überdeckt ist. Vielmehr bin ich dadurch, dass ich mit anderen Maschinen kommunizieren kann, bereits schon als Maschine entworfen und adressiert, InputOutput, verschaltet mit der Technosphäre, die meine natürliche Umwelt geworden ist: ständiges An- und Abkoppeln, „im Kontinuum zwischen Online- und Offline-Raum.“¹ Die Vorstellung der 1990er-Jahre, dass wir Cyborgs  – Verschaltungen von Organismus und Maschine – werden könnten, ist Realität geworden, wenn auch auf eine unspektakulärere Weise als damals gedacht. Die typische Maschine heute ist nicht mehr der Arbeiter fressende Moloch, wie in Metropolis, oder das Fliessband, das Charlie Chaplin zu einem Rädchen im Getriebe macht, sondern es ist das Kontinuum personalisierter Anrufungen, die mich als Objekt ihrer (Profit-)Ziele unterwerfen. Es sind all die Vorschläge, die mich beim Bücherkauf auf Amazon „unterstützen“ oder, wie in 10.000 Moving Cities, alle diese von SocialMedia-Monopolisten ernstgenommenen Versuche von Menschen, Aufmerksamkeit zu erheischen. Die typische Maschine heute ist das Datencenter bzw. seine rechnerische Grundlage, „die formalisierte Prozedur, der Algorithmus“². Denn was eine Maschine zu einer Maschine macht, ist weniger ihre „materielle Basis“, als vielmehr ihr Streben nach „nicht-reflektierter Wiederholbarkeit“: „Ein einmal verstandener Arbeitsprozess oder eine reflektierte Kette von Gedanken und Schlussfolgerungen wird funktionalisiert, d. h. in eine Folge elementarer materieller Handlungen übersetzt und dadurch der apparativen Logik zugänglich.“³ Das Algorithmische ist die Grundlage für maschinelle Kontrolle, den Austausch der Vorstellung vom Individuum durch codierte und decodierbare Materie.4 Somit kann die in 10.000 Moving Cities offenbarte Abstraktion und Homogenisierung von Welt als ein Symptom aktueller Biopolitik gelesen werden. Diese stützt sich nicht auf Repression und Auslöschung des Individuums, sondern auf „Dividuation“5 bzw. hyperindividuelle Steuerung von Wünschen, die aus Mustern herausgelesen werden. Die Zukunft meines Körpers ist somit immer ein Post-Futurum, nämlich die auf morgen hochgerechnete Interpretation meiner Vergangenheit, die ich als Daten-Abfall auf Social Media zurückgelassen habe – und damit zukunftslos. SCHROTT-SCHALTUNG WERDEN Dass die Cyborgisierung der Körper, und damit die Vermessung und Verschaltung des Körpers bereits begonnen hat, dass diese jedoch nicht zur behaupteten Immaterialität, sondern zu neuartigen Aktivitäten und Assemblagen von Materialien führt, macht eine Reihe von Dani Ploegers Arbeiten auf schmerzhafte Weise deutlich. In der Performance und Installation Recycled Coil (2014) liess sich der Künstler von einem Bodypiercer eine Ablenkspule aus einem Röhrenbildschirm in die Haut einnähen. In einem Drei-Sekunden-Intervall wurde schwacher Strom durch die Kupferdrähte gejagt, so dass ein elektromagnetisches Feld erzeugt und gemessen werden konnte. Damit machte der Künstler seinen Körper zur Schaltstelle einer elektronischen Schaltung, gebaut aus Schrott aus Nigeria. Während in konventionellen Cyborgfantasien der Körper technologisch aufgerüstet wird, um mehr Leistung zu erbringen, vollbringt diese Schaltung hier nichts. Sie läuft einfach (dank der externen Stromquelle und der Unvergänglichkeit des Kupfers). Sie degradiert aber auch den Körper zum Anhängsel der Technik statt, wie es das Fortschrittsdenken predigt, die Technik zum beherrschbaren Werkzeug des homo oeconomicus zu machen. Elektronik, Körper und Schrott heften sich aneinander, lassen sich nicht trennen, geschweige denn kontrollieren. Was Dani Ploeger hier performt, ist wie im realen Leben und definiert die Ontologie der Technologie: Maschinen sind endlich und unendlich zugleich. Sie brauchen und verbrauchen Körper, Materie, Energie und nutzen sich ab, doch ihr Abfall vergeht nicht. Während die organische Wunde am Bauch heilen wird, hat der artefaktische Fernseher offensichtlich nicht überlebt. Das Wesen der Technologie besteht darin, obsolet zu werden und zur „Natur“ zurückzukehren, aus der sie als gewonnene Ressource auch stammt. Dabei affiziert sie auch jene, die vielleicht gar nie mit ihr in Berührung gekommen sind. Der Dreck, den sie bei ihrem Abbau (Extraktivismus), ihrer Herstellung, während ihrer Benutzung und am Ende ihrer Lebensdauer hervorbringt, lagert sich ab – nicht zufällig ist das in Recycled Coil Afrika – und kommt als Gift zurück, bedroht den Körper des weissen Mannes, Europa, die ganze Erde. Das ist der Schaltkreis, das kybernetische Feedback-Loop: Alles kommt wieder.

Das Medium-Werden des Bauchs – auch das kennen wir, aus David Cronenbergs Videodrome, von Valie Exports Tapp- und Tastkino, von Hans Bellmers Puppen. Dani Ploegers Bauch ist ein ausrangierter Fernseher geworden, dessen pulsierendes Innenleben
aus Kupferschrott das ausgeschnittene Loch seines T-Shirts deutlich zu sehen gibt. You press the button, we do the rest, hiess es 1888 bei Kodak.

PFLANZE WERDEN

Unsere Körper stehen „nicht länger als gesonderte, eigenständige und quasiautonome Subjekte klar unterschiedenen Medienobjekten gegenüber; vielmehr konstituieren wir uns selbst als Subjekte durch die Operation einer Unzahl multiskalarer Vorgänge, von denen einige (wie die neuronale Verarbeitung) eher ‚verkörpert‘ erscheinen, andere wiederum (wie die rhythmische Synchronisierung mit materiellen Ereignissen) eher ‚verweltlicht‘ .“ 6 Während die Medien Umwelt geworden sind und uns sensorisch quantifizieren, geht die militaristische Cyborgfantasie von einem abgekapselten Körper aus, der sich in einer feindlichen Umwelt behaupten muss. Die Einkapselung in eine hermetische Zone mag als einzige Rettung erscheinen, wenn wir Messwerte der Luft von Städten wie Pristina anschauen. Doch was für ein Leben wäre das? Aktuelle künstlerische Entwürfe zeigen, dass zukünftiges In-der-Welt-Sein heisst, In-Austausch-mit-Anderen-Sein, auch wenn es gefährlich ist. Ein Beispiel dafür sind die utopisch anmutenden, mit Sensoren, Screens und Pflanzen bestückten Kleidungsstücke Symbiotic Interaction. Wearables (2016 / 17) von Marìa Castellanos / Alberto Valverde (Installation und Performance). Ausgehend von der Beobachtung, dass Pflanzen aufgrund ihrer Unbeweglichkeit sensibel auf Veränderungen in der Atmosphäre reagieren, hat das Künstlerpaar die Pflanzen mit technischen Sensoren verschaltet und ein ökomediales Kommunikationssystem zwischen Umwelt, Pflanzen, Technologien, Textilien und Menschen etabliert. Die Sensoren messen die subliminalen Reaktionen der Pflanzen, die in von Menschen wahrnehmbare Signale wie Blinken, Klingeln, Farbveränderungen übersetzt werden. Diese warnen vor Veränderungen in der Atmosphäre. Darüber hinaus aber offenbaren sie, dass Pflanzen und Sensoren Dinge spüren, die ausserhalb des menschlichen Sensoriums liegen. Sie machen erfahrbar, dass diese sensitiv und lebendig sind. Das Fazit der Wearables heisst aber nicht zwingend, dass die Menschen ihr Sensorium aufrüsten müssten. Vielmehr weist die hybride Montur daraufhin, dass eigentlich schon alles da ist und funktioniert, solange die verschiedenen Entitäten zusammenarbeiten. Ein Rucksack mit Wasser und eine Maske mit Schlauch beispielsweise dienen dazu, dass die Kleiderträger*innen die Pflanzen wässern und mit ihrer Ausatmungsluft „versorgen“ können. Letzteres mag lächerlich sein, da es genügend CO2 in der Luft hat. Aber es macht deutlich, dass die Träger*innen ihre „Werkzeuge“ nicht nur benutzen und deren Funktionen im „intelligenten“ Stoff versteckt haben, sondern dass sie auch für sie sorgen sollen. Die Wearables, als Assemblage der Vielen, enthüllt „Fortschritt“ als etwas, das Pflanzen schon seit Jahrmillionen tun: spüren, umwandeln, austauschen. Dieser fundamentalen Funktion verdanken wir das terrestrische Leben – zumindest bis jetzt.

TOXISCH WERDEN

„Inhale  – Exhale, Inhale–Exhale …“ repetiert eine Stimme, „You want to shop. You feel the strong strong urge to buy …“ wird sie von weiteren Stimmen überlagert. Das gemeinsame Atmen ist eine Technik der Synchronisation, durch die die 50 an Johannes Paul Raethers Performance Beteiligten in ein gemeinsames Handeln kommen können. In der Rolle als Protekto.xx, Surrogat und Version der WorldWideWitches Protektoramae traf sich Raether mit einer Gruppe von Akteuren im Berliner Flagshipstore von Apple. Vor Ort stöpselten sie ihre Audio-Devices in die zur Ansicht ausgestellten „Smartphonefetische“ ein und spielten an der „Genius Bar“ mit Gallium. Dieses für den Menschen ungefährliche seltene Metall verflüssigt sich bei Körperwärme und greift Aluminium an – was an einem mitgebrachten iPhone durchgespielt wurde – und einen Grosseinsatz der Polizei provozierte. Protekto.x.x. Precipitation [5.5.5.1] [pcp] (2017), so der Name des Projekts, besteht aus der beschriebenen Performance sowie einer mehrteiligen transmedialen Installation, bei der der Antagonismus der Zerstörungskraft des Kapitalismus und die Notwendigkeit der Formierung produktiver Kräfte ästhetisch inszeniert wird: Einerseits ist da eine ins Fliessen gekommene, verkrustete Aluminiumplatte mit Tablets und Smartphones zum Abspielen der Videos und Soundfiles, andererseits sind rätselhafte Kohlestäbe aufgelegt (Antennen? Zauberstäbe?), umrahmt von „Hochglanz“-Bildern zerflossener iPhones an den Wänden.

Protekto.xx’ künstlerische Methode besteht im performativen Wiederholen des Vermüllens von Welt und des Fetischisierens der eigenen Produkte, wofür die Firma Apple exemplarisch steht. Unter Einsatz ihrer artefaktisch zusammengesetzten Körperlichkeit pervertiert Protekto.xx die Auslagerung der „dirty work“ in den globalen Süden und holt sie in den globalen Norden zurück. Gleichzeitig versucht sie, das Übel an der Wurzel zu packen und zu heilen. Als aktivierendes Element, giftig nur für jene, die etwas zu verbergen haben, legt das Gallium die versteckten „Organe“ des Smartphones frei. Das sind in der Ausstellung die acht verbauten Seltenen Erden (gegen 50 verschiedene Materialien enthält ein iphone). Raethers Ritual des „Ausfällens“ („precipitation“) der Verbundmaterialen macht deutlich, dass der glatte „Smartphonefetisch“ eine Assemblage verschiedenster Geschichten von Gewalt ist. Als Surrogat / Version einer Hexe / Heilerin in Drag und techno-organischen Maschine verkörpert Protekto.xx die Widersprüche, aber auch den Mut zur politischen Fantasie: Im Postfuturismus, unserer Zeit der Normalisierung von Erschöpfung und Erschöpfen, muss in erster Linie die Normalisierung dieses Schemas unterbrochen werden. Zusammen mit Protektorama – the dragqueen of protection – kann sich unsere Tätigkeit des Vermüllens vielleicht in eine kommunale Geste wandeln, die sich um alle Erdlinge sorgt, nicht nur um bestimmte. Techniken des ToxischWerdens müssen erfunden, Techniken des Spürens wiederentdeckt werden, jenseits simpler technischer „Erweiterungen“. Auch das ist Postfuturismus.

ANMERKUNGEN
1 Christina Grammatikopoulou: Virale Gender- Performance,
in: Cornele Sollfrank (Hg.): Die schönen Kriegerinnen.
Technofeministische Praxis im 21. Jahrhundert, Wien:
trans versal 2018, S. 131.
2 Georg Trogemann: Synthese von Maschine und Biologie –
Organische Maschinen und die Mechanisierung des Lebens,
in: Gabriele Gramelsberger / Peter Bexte / Werner Kogge
(Hg.): Synthesis: Zur Konjunktur eines philosophischen
Begriffs in Wissenschaft und Technik, Bielefeld: Transcript
2013, S. 171 – 192, hier: S. 176
3 Ebd.
4 Gilles Deleuze: Postscript on the Societies of Control,
in: October 59 (Winter 1992), S. 3–7, download:
http://home.lu.lv/~ruben/Deleuze%20-%20Postscript%20
On%20The%20Societies%20Of%20Control.pdf.
5 Ebd. Zum Dividuum als transversale Figuration siehe
Gerald Raunig: Dividuum. Maschinischer Kapitalismus und
molekulare Revolution, Wien: transversal texts 2015
6 Mark B. N. Hansen: Medien des 21. Jahrhunderts, technisches Empfinden und unsere originäre Umweltbedingung,
in: Erich Hörl (Hg.): Die technologische Bedingung. Beiträge
zur Beschreibung der technischen Welt, Berlin: Suhrkamp
2011, S. 365 – 409, hier S. 367

Link to the article