SÜDDEUTSCHE ZEITUNG | 12 July 2019

Marc Lee’s 10.000 Moving Cities, exhibited as part of a Freisinger Schafhof exhibition, has been mentioned in an article analysing the show’s urbanity, globalization and the contradiction of analogue and virtual worlds (article in German).


X-beliebig

By Alexander Huber

Die neue Ausstellung im Schafhof beschäftigt sich mit dem Verlust urbaner Identitäten, der Globalisierung sowie dem Widerspruch analoger und virtueller Welten.

Kurzes Gedankenexperiment: Stellen Sie sich vor, Sie würden von einen auf den anderen Moment in ein Stadtviertel geworfen, in dem Sie noch nie zuvor waren. Stellen Sie sich vor, in diesem Viertel gäbe es keine Menschen und keine Straßennamen, nur Gebäude, Straßen, Parkplätze, Einkaufszentren – all das, was moderne Städte eben prägt. Könnten Sie sagen in welcher Stadt Sie sind? In welchem Land? Auf welchem Kontinent? Und ist das überhaupt noch wichtig?

Die Homogenisierung des Städtebaus, der Verlust urbaner Identitäten und die Frage nach der normativen Bewertung dieser Phänomene sind rote Fäden, die sich durch die neue Sommerausstellung Research Technology/Urbanity des europäischen Künstlerhauses am Schafhof ziehen. Bis Ende September sind im Erdgeschoss drei Installationen zu sehen, die sich auf (post-)moderne Weise mit Urbanität, Globalisierung und dem Widerspruch analoger und virtueller Welten auseinandersetzen.

Der Betrachter bestimmt, was er sieht

Mit 10.000 Moving Cities – Same but Different des Züricher Künstlers Marc Lee und Palo Alto des Berliner Duos Banz & Bowinkel sind zwei interaktive Videoinstallationen ausgestellt, in denen der Betrachter mit seinen eigenen Bewegungen bestimmt, was er sieht und sich so mittels Virtual Reality eine individuelle Perzeption des Werks schafft.

Das dritte Stück der Ausstellung, Turm zu Babel (Bildmaschine 08) des Wiener Künstlers Clemens Fürtler, kommt als verfremdeter Nachbau einer Stadt mit vielen Modellgebäuden und Eisenbahnen dagegen auf den ersten Blick recht klassisch daher, die Tiefe ergibt sich hier durch die zweite Ebene, die Schatten, die durch die Bewegungen der Eisenbahnen an die Wände geworfen werden.

Alle Werke thematisieren Kontrollverlust

Allen Werken gemeinsam ist das Element des Kontrollverlusts, das Zufällige, das Nicht-Statische – das Leben eben. Die drei Werke verändern sich ständig, keine zwei Betrachter sehen das gleiche Werk und keiner sieht das gleiche zweimal. Am deutlichsten positioniert sich dabei 10.000 Moving Cities – Same but Different von Marc Lee: Der Betrachter kann über ein Menü eine Stadt auf der Welt auswählen. In Sekundenschnelle werden dann die aktuellsten Social-Media-Posts von Nutzern aus dieser Stadt über eine virtuelle Standard-Stadt gelegt.

Mit Hilfe von Virtual Reality entsteht für den Nutzer das Gefühl, sich in einer echten Stadt zu befinden. Recht schnell wird klar: Egal, welche Stadt man auswählt, am Ende landet man doch nur in derselben gesichtslosen urbanen Ansammlung von Funktionsbauten – “Nicht-Orte”, wie Lee sie nennt.

Alles ist austauschbar

Der Künstler generalisiert diese Kritik über urbane Räume hinaus: Nicht nur die seien heute austauschbar, sondern nahezu alles: Objekte, Werkzeuge, sogar Sprachen. In 500 bis 1000 Jahren, meint der Schweizer etwa, werde in München vielleicht Englisch gesprochen.

Klar ist: Wer sich wie Lee so deutlich positioniert, macht sich angreifbar. Ist die Sehnsucht nach Heterogenität nicht auch Ausdruck kleinbürgerlicher Sehnsüchte nach einer längst untergegangenen Welt? Was ist es wert, als kulturelle Identität präserviert zu werden, was ist einfach nur Ausdruck von Armut? Entscheiden muss der Betrachter selbst.

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